Die Rekonstruktionstechniken bewegen sich mit den fortschreitenden Erkenntnissen aus der globalen Unfallforschung auf einem sehr hohen Niveau.
Mit den zur Verfügung stehenden Visualisierungstechniken kann ein Unfallhergang in einer 3D-Arbeitumgebung und fotorealistischem Umfeld problemlos
dargestellt werden. Ergänzend werden in der Unfallforensik reale Unfallversuche ausgewertet, um den berechneten Ablauf möglichst nah an den
tatsächlichen Unfallhergang anzupassen.
Diese Methoden stehen im Ingenieurbüro Kneifel vollumfänglich zur Verfügung und werden auch eingesetzt. Bei diesen Anwendungen besteht grundsätzlich
die latente Gefahr, dass durch die Auswahl von Crashversuchen oder die Vorwahl der Berechnungsgrößen in einer Computersimulation der physikalische Hintergrund
verwässert oder unerkannt verfälscht wird. Trotz aller fortschrittlichen Techniken und einem großen Vorrat an Vergleichscrashs ist der Unfallanalytiker sicher
gut beraten, den Kern der Kollision im ersten Ansatz mit den physikalischen Gesetzmäßigkeiten aus Impuls-, Drall- und Energiesatz aufzuarbeiten.
Kollisionsanalyse
Crash-Simulation / Crash-Test = Der Weisheit letzter Schluss?
Jeder Unfall ist anders, auch ein vergleichender Crash-Test ist keine alleinige Garantie für die Richtigkeit der getroffenen Feststellungen, auch dann nicht, wenn scheinbar optische Übereinstimmung vorliegt. Das gilt gleichlautend für jede Software Simulation. Der Ablauf eines Unfalles ist im Wesentlichen geprägt von den physikalischen Begebenheiten, deshalb muss technisch hier der Einstieg erfolgen.
Mit der klassischen Kollisionsmechanik wird in der Unfallforensik im ersten Schritt versucht, sozusagen das Pferd von hinten aufzuzäumen. Der Unfallanalytiker fängt dabei mit dem an, was nach der Kollision vorgefunden wurde und versucht über die Spurenbefunde, die Fahrzeugbewegungen, die Fahrzeugschäden und die Bewegungen der Fahrzeuge nach der Kollision bis in die Endstellungen auf die Anfangssituation vor dem Unfall zu schließen. Diese Vorgehensweise wird daher als Rückwärtsrechnung bezeichnet. Mit geeigneten Programmen kann ein Unfallgeschehen auch in Form einer Vorwärtsrechnung simuliert werden. Man wertet dann die nur teilweise bekannten Anfangsbedingungen vor der Kollision aus und vergleicht das Ergebnis mit dem tatsächlichen Ablauf hinsichtlich der Fahrzeugbewegungen bis in die Endstellungen und der Fahrzeugschäden. Die Programme laufen in einer realistischen 3D-Arbeitsumgebung und sind dazu geeignet, den Ablauf eines Unfalles z.B. in einem Video zu visualisieren. Die Anwendung dieser Programme ist komplex, die Ergebnisse sind stark davon abhängig, ob die Vielzahl der notwendigen Parameter, die nicht immer vollumfänglich bekannt sind, korrekt gesetzt wurden. Dies ist nicht immer zweifelsfrei zu erkennen.
Wenn man eine Unfallanalyse auf einer soliden Basis erstellen will, wird man zunächst nicht an der forensischen Kollisionsmechanik vorbei kommen. Hier wird mit den klassischen Erhaltungssätzen aus der Physik gearbeitet, der Energie-, Impuls- und Drehimpulserhaltung. Nur wenn diese physikalischen Grundlagen alle gleichzeitig erfüllt sind, kann i.d.R. von einer korrekten Lösung ausgegangen werden. Eine geschlossene numerische Lösung ist nur schwierig zu finden, da bei den Berechnungsparametern Toleranzen zu beachten und zu berücksichtigen sind. Zu den klassischen Methoden der Kollisionsanalytik gehören sicher das Impuls- und Drehimpuls-Spiegelverfahren in Verbindung mit dem Energiering-Verfahren*. Mit dieser grafischen Methode lassen sich gemeinsame Schnittfelder erarbeiten, in denen Impuls-, Drall- und Energiesatz erfüllt werden. Die beiden Bilder auf der rechten Seite zeigen die Auswertung eines Kreuzungsunfalls. Das gemeinsame Lösungsfeld aus dem Energiering und den Rhomben aus der Impuls- und Drallsatzanwendung ist dort in roter Farbe hervorgehoben. |
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Im Bild rechts ist die gemeinsame Schnittmenge nochmals vergrößert und rot eingerahmt dargestellt.
Zu den klassischen Lösungsmethoden zählt weiterhin das EES-Verfahren* (Energy-Equivalent-Speed). Bei der EES handelt es sich um eine Geschwindigkeitsangabe, die stellvertretend für die an den kollidierten
Fahrzeugen umgesetzte Verformungsarbeit steht. Dieses Verfahren ist numerisch anwendbar und wird wegen der Vielzahl von erforderlichen Vergleichsrechnungen
i.d.R. auf einem Computer (s. Bilder linke Seite) durchgeführt.
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Kommt man in Abhängigkeit von dem beim konkreten Unfallgeschehen zur Verfügung stehenden Anknüpfungstatsachen zu einem Ergebnis, das im physikalischen Sinn im Gleichgewicht ist, spricht nichts dagegen, mit diesen Werten den Unfallhergang in einer Computersimulation zu überprüfen. Eine derartige Visualisierung läuft zum Beispiel oben in dem Fenster auf dieser Seite (Kreuzung: 'Kochs Ecke' in Siegen).
Mit der Kenntnis der Kollisionsgeschwindigkeiten ist der Ablauf eines Unfallgeschehens längst nicht geklärt. Gerade für die rechtliche Beurteilung und die Haftungsfragen ist es eher von brennendem Interesse, wo sich die Fahrzeuge zeitlich und räumlich vor der Kollisionsstelle befunden haben und welche Randbedingungen zu der Kollision geführt haben. Dabei ist die Erkenntnis, dass evtl. ein Fahrzeug die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten hat, für die Beurteilung nicht immer der ausschlaggebende Parameter.
Relevant sind eher Fragestellungen, wo z.B. ein Überholvorgang eingeleitet wurde und wo sich ein entgegenkommendes Fahrzeug zu diesem Zeitpunkt befunden hatte. Welche Sichtweite stand den Fahrzeugführern in dieser Situation zur Verfügung? Konnte der Überholvorgang überhaupt ohne Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer durchgeführt werden? Konnte der Unfall durch Abwehrmaßnahmen (Ausweichen, Bremsen) vermieden werden? Wurde rechtzeitig reagiert? Wäre der Unfall vermeidbar gewesen, wenn der Fahrzeugführer die zulässige Höchstgeschwindigkeit eingehalten hätte? Diese Fragestellungen werden abschließend in einem Weg-Zeit-Diagramm geklärt. Alles Fragestellungen, bei denen die Unfallbeteiligten dynamisch, das heißt räumlich und zeitlich, rechnerisch fest miteinander verknüpft werden.
Das Weg-Zeit-Diagramm in der Unfallanalyse
Für die verständliche Darstellung der Annäherungsbedingungen der beteiligten Fahrzeuge hat sich das Weg-Zeit-Diagramm bestens bewährt und etabliert.
Alle Berechnungen werden in dem Diagramm mit Verlaufslinien je Fahrzeug grafisch dargestellt. Es kann dann zu jedem Zeitpunkt oder Ort unmittelbar aus der Grafik ermittelt werden,
wo sich das oder die anderen Fahrzeuge jeweils befanden. War eines der Fahrzeuge zu schnell unterwegs, kann in dem Weg-Zeit-Diagramm der alternative Fahrverlauf ab Reaktion des
Fahrzeugführers mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eingezeichnet werden. Man erkennt dann sofort, ob der Unfall bei Einhaltung der Höchstgeschwindigkeit vermeidbar gewesen wäre.